“Freedom”
Das Thema für die jährliche Konferenz des Netzwerkes europäischer Science Center und Museen, die vom 26. bis 28. Mai 2011 in Warschau stattfand, war eine echte Ansage, an der sich die über zweihundert Beiträge und die Begegnungen während der Konferenz messen lassen mussten.
Bild: Was Maschinen alles können – Portraits von Ausstellungsbesuchern
Es ist vielleicht ganz einfach: Der Fluss Vistula, an dessen Ufer das neue Centrum Nauki Kopernik (der Austragungsort der Konferenz) liegt, ist ja auch frei und unbegradigt – möglicherweise hat die Episode des Hochwassers vom vergangenen Herbst, das die Eröffnung des Prestigeprojektes beinahe ins Wasser fallen liess, beim Finden des Tagungsmottos nachgewirkt. Unbändige Freiheit, das Verlassen von eingefahrenen Wegen, die Gewalt des Faktischen, eine Prise (R)evolution in der Luft – tolle Voraussetzung für eine Neubegegnung mit alten Bekannten und neuen Gesichtern aus der grossen bunten Science-Center und Museums-Community!
Am ersten Tag bleibe ich zunächst hier hängen:
“Science centres and museums naturally tend toward trying to tell people facts, but this is not their strong point. Their strength is in creating memories, impressions, and inspiring their visitors. How can we create exhibits that work to these strengths?The Exploratorium started the trend of exploratory, open-ended exhibits with Active Prolonged Engagement (APE), and in the UK other centres are following suit and exploring ways to make exhibits flexible, rewarding and completely open ended. …”
Klingt interessant: Fakten sollen nicht die Stärke von Museen sein?! Kua Patten vom Exploratorium San Francisco legt in der Session “Freedom to Explore” vor.
Die Amerikaner haben diesen wunderbaren Zug, alles was sie tun mit Kürzeln zu versehen und es damit wie ein vielbenutztes und vom erfolgreichen Einsatz schon ein wenig abgegriffenes Werkzeug aussehen zu lassen. Er spricht von APE – Active Prolonged Engagement. Ist das ein neues transatlantisches Zaubermittel zur Begeisterung dröger Hands-on-Muffel? Mitnichten – die Beispiele von Patten sind eher solide Hausmannskost. Wer mit offenem Blick für Details durch Museen geht, dem ist nicht fremd, dass manche Experimente Besucher allen Alters für Stunden fesseln können, während bei anderen schon der Zeitaufwand für einen Knopfdruck zu viel erscheint.
Der Mensch will nicht gerne für dumm verkauft werden – und sei es von einem Designer…
Immerhin kristallisiert sich heraus, dass es oftmals speziell visuelle Spiele und Exponate mit einer sinnlich-ästhetischen Komponente sind, die sich gut ver-APEn lassen.
Was Kua Patten dann sagt und zeigt, ist allerdings neu: Seit einigen Monaten gibt es im Exploratorium das “Tinkering Studio”. Es ist ein Ausstellungsbereich, der zu einem Bastel-Labor gewandelt wurde. Exponate im klassischen Sinne sucht man hier vergeblich. Es gibt Werkbänke mit Lötkolben drauf, Schneideplotter, Lasercutter, viele verschiedene Materialien und eine Riege von nerdigen Betreuern, denen man ansieht, dass sie glücklich sind, in diesem Aufbruch-Raum arbeiten zu dürfen. Die Besucher haben alle Freiheiten, zu bauen was immer sie bauen wollen. Sie bekommen Anleitungen und Ratschläge, aber keine Vorgaben. Das Studio brummt. Die Zeit steht still – wie immer, wenn man selbst der Auftraggeber und der Ausführende ist.
Zur MAKER FAIRE (schreibt sich wirklich so), einer Art Woodstock des Bastelns, kommen während eines Wochenendes 120.000 Besucher…
Andy Lloyd ist Special Projects Manager am Centre for Life, Newcastle upon Tyne, UK, und auch er berichtet von einer MAKER FAIRE, die er kürzlich veranstaltet hat. Sie war nicht so gross wie das kalifornische Beispiel, aber gross genug (10.000 Gäste!), um die Masstäbe dessen, was wichtig ist für eine Institution der Wissenskommunikation, gehörig durcheinander zu wirbeln. Auch er hat die offene Werkstatt entdeckt, als einen Ort, an dem der Besucher zwar wenig erfährt über den Stand der Wissenschaft, an dem er aber alles erfährt darüber, wie Wissenschaft geht. Das Finden eines Gegenstandes, das beharrliche Aufschliessen, die Hoffnung auf Erkenntnis und Erfolg, nicht zuletzt Anerkennung durch Andere und Kontakt zur Mitwelt – all das sind Inhalte der Lektionen, die Lloyd und sein Team in der momentan entstehenden Curiosity-Gallery des Centre for Life in einem aufregenden Selbsterfahrungsprozess lernen.
“Be Creative, Be Innovative” – so heisst eine neue Abteilung im Glasgow Science Centre. Robin Hoyle ist dort Director of Science und sichtlich stolz darauf, mit der gleichfalls Werkstatt-ähnlichen Galerie einesteils Erfolg bei den Besuchern zu haben, andererseits der seit dem Milleniums-Goldregen eher klammen Institution einen Weg in die Zukunft zeigen zu können. Sein Vortrag zeigt, wie verspielt die Entwicklung einer Ausstellung sein kann, und welchen Stolz das Selber-Tun hervorruft. Es wird im Vortrag nicht so richtig klar, ob die Schau in sich selbst offen ist – vermutlich ist sie es, sonst hätte sie ihren Titel nicht verdient. Klar wird aber, dass Tinkering, das Basteln, egal wo es auftaucht, enormen Erfolg hat. Es könnte daran liegen, dass Selbermachen in zwei Richtungen wirkt: erstmal in Richtung des Selbst, denn es erzeugt Autorschaft, dann aber auch in Richtung des Gemeinschaftlichen, denn es sucht sich ganz von allein die Bühne für das Hergestellte, oder auch seinen Markt.
Zwei Fragen drängen sich auf: Ist es Zufall oder Absicht, dass mit keinem Wort die Fab-Lab Bewegung erwähnt wird, die immerhin seit 2005 vom MIT in Boston ausgehend das neue Do It Yourself propagiert? Fab-Labs sind die Bastelstuben des digitalen Zeitalters, sie vulgarisieren die Technologien des Rapid-Prototyping, und ihr Versprechen ist, dass es heute möglich ist, (fast) alles selber zu machen.
Ihr Problem ist vielleicht, dass sie noch vielfach den Nerds gehören – einer eher scheuen Spezies, die, wenn sie spricht, am liebsten digitalen Code verwendet. Das Fab-Lab innerhalb der ars electronica in Linz bekennt sich zu dieser Inspirationsquelle, auch wenn Puristen einwenden, es sei ein schickes Fake von einem Fab-Lab. Nun wiederum ist die ars electronica leider nicht auf der ECSITE vertreten. Schade eigentlich, man hätte miteinander reden können!!?
Die zweite (und interessantere) Frage ist: Glaubt man daran, mit Tinkering Studios irgendwann mal auch Wissenschaft (oder sonst irgendeinen Inhalt) ausbreiten oder aufdecken zu können?
Die Antwort fällt bei allen drei Vortragenden in etwa gleich aus: Nein. Es wurde nicht einmal versucht. Der Fokus lag von Anfang an auf dem Tun an sich – und die Botschaft an die Besucher war: Das Machen schafft Wissen.
Eine Herausforderung…
Weiter im Text. “Hot Scene in Eastern Europe” ist der Titel einer Session, die Robert Firmhofer, Direktor und Initiator des Centrum Nauki Kopernik, leitet.
“During this armchair tour session, participants will take a journey through Eastern and Central Europe where a number of brand new science centers and museums projects are emerging.We will start in Serbia, move north to the Czech Republic and Poland and continue east to the Russian Federation. What are the concepts? Are they based on industry, scientific community or politics? How are they funded? Do they add new value to the field or simply copy and paste existing practices?”
Der letzte Satz ist interessant. Gibt es was Neues unter der Sonne, die ja bekanntlich im Osten aufgeht?
In der Antwort von Nicolas Simakov vom staatlichen Darwin Museum in Moskau liegt Dialektik: Nach der Gründung 1907 durch den Sammler Alexander Feodorowitsch Kohts wurde Darwin von den Sowjets propagandistisch ausgeschlachtet. Dem Museum oblag die Beweisführung, dass Gott nicht existiert. Das Evolutionsmuseum – konzipiert von Kohts nach einer Grand Tour durch die Museumswelt der vorletzten Jahrhundertwende, ist seit dem Zerfall der Sowjetmacht “frei” im Sinne des Tagungsmottos der ECSITE. Das wäre die Neuigkeit, und hier läge auch die Chance für einen individuellen Weg.
Wenn man Simakovs Beispielen folgt, dann nutzt das Darwin Museum seine Freiheit heute dazu, sich beim Stil der Ausstellungen und beim medialen Auftritt an der etablierten (westlichen) Museumswelt zu orientieren und sich ihr zum Verwechseln anzupassen. Die Cité des Sciences (Paris) ist Kooperationspartner. Jemand nannte die Tatsache, dass alles überall zunehmend gleich aussieht “die Coca-Cola-isierung der Welt” – vielleicht sollte man in diesem Fall von einer “Evianisierung” sprechen.
Jerzy Jarosz lehrt an der Universität in Kattowitz, und er berichtet über “Industrietourismus und Science Centres”. Gleich mit seiner ersten Aussage erzeugt er ein zweifelndes Raunen in der Zuhörerschaft: “Science Centers müssen gross sein, um die kritische Masse fürs Überleben zu haben”. Aber er meint das gar nicht selbst so – ganz im Gegenteil: Er berichtet von einer geplanten Perlenschnur an kleinen bis mittleren Besucher-Attraktionen im ehemaligen Kohlebergbau-Revier Schlesiens, in denen sich die historische Industriearchitektur in Bühnen für interaktive Erfahrungen rund um Kohle und den Kohlenstoff verwandeln sollen. Zwei der Attraktionen befinden sich in Zabrze (was er nicht erwähnt) – die Dolina Wegla (Coal Valley) und der C12-Park, und das grösste Projekt Centrum Nauka Sklodowska-Curie soll bis 2016 in Kattowitz entstehen, rund um Kohle und Metallurgie. Da wir das Glück hatten, an den Masterplänen für die Zabrze Projekte beteiligt zu sein, fehlt uns womöglich die kritische Distanz zu Jarosz’ Plänen. Gut, dass es den klugen Robert Firmhofer gibt, der wissen will, ob es denn nicht ein wenig kohlelastig zugehe in Schlesien. Jarosz’ Antwort ist länglich, und sie führt unter dem Strich zurück auf die kritische Masse: Je mehr vom Thema präsent ist, desto mehr davon wird wahrgenommen. Die Carbon-Perlenkette existiert bisher nur auf dem Papier – die Probe aufs Exempel steht also noch aus.
Von Ian Iwaniszewskis Vortrag (er ist Assistant Professor am Centrum Nowoczesności w Toruniu, Toruń) bleibt ein lebendiges Bild der wohl auf Lebkuchenherstellung spezialisierten polnischen Geburtsstadt von Nikolaus Kopernikus zurück – leider auch nicht mehr. Dabei wollte er doch über “More than just another touristic attraction” sprechen…
Ganz anders gelingt es Aleksandra Drecun, ihr Projekt eines Centre for the Promotion of Science in Belgrad (Serbien) zu positionieren. Sie hat nicht nur den entscheidenden Vorteil einer blonden Löwenmähne, sondern kann sich auch einer klaren englischen Aussprache bedienen. Wie angenehm.
Am Beispiel des Belgrader Projektes wird blitzartig deutlich, welch schrecklicher Spalt sich in aufstrebenden kleinen Volkswirtschaften auftut, wenn man Investitionen in populäre informelle Bildung propagiert. Frau Drecun hat einesteils einen Flugzeugträger von Gebäude “an der Backe” (gezeichnet haben ihn die Architekten des Porsche Museums in Stuttgart-Zuffenhausen, Delugan Meissl), mit einem Preisschild von 40 Mio EUR, andererseits muss sie schon jetzt, im Vorfeld des Projektes, gegenüber der geldgebenden Politik um das Kleingeld für die Ausstellung kämpfen. Sie berichtet stolz davon, wie ihr eines Morgens, als der don-quichottesche Kampf wieder mal besonders ausweglos schien, das Glück in Gestalt der 95%-Formel über den Weg lief. Nur fünf Prozent unserer Bildung sei auf formale Weise erworben, der Rest käme auf anderen Wegen – so hätten es amerikanische Forscher (wer sonst?) herausgefunden. Drücken wir ihr die Daumen, dass sie damit durchkommt. Beraten wird auch sie von der Cité des Sciences, und von Kollegen aus Ljubljana. Ihr dringender Appell an die ECSITE Community, sie und ihr Team mit guten Argumenten und Know-How zum Konzipieren eines Science Centers zu unterstützen, fand reichen Widerhall. Dabei ist es doch so einfach: Baue nie mit Stararchitekten ein Science Center – du findest dich mit einem Entwurf wieder, der nur über Treppen zu erreichen ist, in dem die Kinderabteilung in die Erde vergraben ist, und über dessen sonnenloser Piazza mit Stützenwald der kalte Wind aus den Bergen weht…
Sarka Votrubkova, Direktoin des Labyrint Bohemia o.p.s., Liberec in Tschechien, spricht über “Cosiness as a main motto of the first Czech Science center – iQpark”.
Tadellose Vorstellung – das Ding sieht in der Tat freundlich und einladend aus. Und 90% der laufenden Kosten werden aus den Eintrittsgeldern von durchschnittlich 130.000 Besuchern pro Jahr erwirtschaftet. Die besondere Ausstrahlung erschliesst sich, wenn man weiss, dass die Exponate und das Innere weitgehend vom Betreiberteam selbst konzipiert und hergestellt wurden. Das liegt den Tschechen – Pan Tau sei Dank! Das Modell Selbermachen ist allerdings nicht neu – insofern geht die heisse Szene des Ostens damit nicht auf neuen Wegen.
Auch Eduard B. Naumov, General Direktor des (Verbandes?) Innovations in Electric Industry, wird das Ruder in seinem Vortrag “Contemporary museum as a reflection of the power industry future” nicht herumreissen können. Er bestätigt was wir alle aus eigener Anschauung wissen: Die (Strom-)Versorger haben einen natürlichen Drang, sich zu präsentieren, und sie verlassen sich dabei gerne auf bewährte Muster. Immerhin: Er präsentiert das einzige Beispiel eines privatwirtschaftlich initiierten und geführten Science Centers.
Ewa Jasinska berichtet vom EXPERYMENT! Science Center in Gdynia, im Norden Polens. Es ist hat vor drei Jahren eröffnet, bietet Vorlesungen für Kinder, und das für Polen typische Wort Inkubator Park fällt. Damit ist ein Konglomerat aus privaten Unternehmen und Lernorten gemeint, in denen wirtschaftlicher und ideeller Erfolg einander bedingen. Natur – Mensch – Wasser: drei neue Themenbereiche sollen entstehen, und die Fläche soll sich schlagartig versiebenfachen!
Ob Maria Meshkova, Vize Direktorin von Intellect, einem Moskauer Science Center, den Gegenbeweis angetreten hätte für die sich erhärtende These, dass das Verfahren Copy & Paste im Osten Europas die Standardroutine beim Konzipieren, Aufbauen und Erweitern von informellen Lernumgebungen ist, darüber darf spekuliert werden. Sie ist nicht erschienen.
Nun aber endlich zur schönsten Nebensache der Welt: Web!
Was stellen die sozialen Netzwerke mit den Museen an? “Social Networks: Opening Dialogue Between People and Science” heisst eine Session, die von Marjelle van Hoorn aus dem VSC Amsterdam unterhaltsam moderiert wurde.
“Different approaches to social networking are possible because it is a continuously evolving medium…
…The Web 2.0 audience demands quick responses, but quick should not mean inaccurate….
…The Internet creates a new kind of science centre or museum visitor by making it possible for people to absorb content without being physically present at the venue.”
Gerade dieser letzte Satz dürfte es in den Ohren von Museumsverantwortlichen und auch bei den Ausstattern alarmklingeln lassen. Denn wenn es wahr ist, dass man als Besucher nicht mehr ins Museum kommen muss und trotzdem “dort war” – was passiert dann mit den wunderbaren Tempeln der Musen?
Elisabetta Curzel (Web 2.0 Koordinatorin am Museo Tridentino di Scienze Naturali, Trento) hält den für mich beeindruckendsten Vortrag auf einer ECSITE seit langem. Hoch konzentriert, langsam und eindringlich sprechend, dabei vollkommen sie selbst und bei sich bleibend entwickelt sie ihren Weg von der jungen Wissenschaftsjournalistin mit Burn-out Syndrom und verschärfter Sinn-Suche in die Rolle einer Frau für Chat, Feed, Tweet und Blog am naturkundlichen Museum von Trient.
Italien ist hyperbürokratisch, hierarchisch und aller Verklärung des mit Händen und Füssen quasselnden Südländers zum Trotz ist es in der Realität bis heute eher undenkbar, dass offizielle Kommunikation von Institutionen über die gleichwohl überaus populären Kanäle der sozialen Netzwerke läuft. Curzel beschreibt, wie sie mit dem einfachen Gedanken, per Facebook 19 Millionen Italiener erreichen zu können, ins Vorstellungsgespräch ging, und mit dem Job wieder herauskam. Weder sie noch ihre Auftraggeber dürften zu diesem Zeitpunkt gewusst haben, wie es genau passieren sollte, und in welcher Form die Interaktion zwischen Netzgemeinde und Naturkundemuseum aussehen würde. Doch das ergab sich von selbst: Gerade wenn, wie in Italien (und nicht nur dort…) Museen den Ruf haben, Wissen fast autoritär zu besitzen, kommen die Fragen von selbst. Bis heute ist eine der wichtigsten Disziplinen der Netz-Abteilung um Curzel, Fragen zu Naturereigissen wie einer Sonnenfinsternis oder einem Erdbeben in kürzestmöglicher Reaktionszeit einigermassen wissenschaftlich solide zu beantworten. Wenn nicht innerhalb von zwei Stunden eine Antwort im Netz steht, kann man den Fall vergessen. Die Medien sind verwoben: immer wieder kommt das Museo Tridentino di Scienze Naturali in die Meldungen der traditionellen Presse, weil es Rekorde in der Web 2.0 Kommunikation aufstellt. Man soll sich nicht täuschen: der Arbeitstag in der Online-Redaktion beginnt um sechs und endet noch nicht um zehn Uhr abends. Doch die Reputation des Museums wächst, genau durch die intensive Internetpräsenz. Die Frage eines Museumsdirektors aus England allerdings, ob die vieltausendköpfige Netzgemeinde in der wirtschaftlichen Bilanz des Museums auf der Habenseite verbucht werden kann, verneint Elisabetta Curzel. Fast vehement erklärt sie: “Ich habe meinen Arbeitgebern von Anfang an gesagt, dass ich mich nicht dafür verantwortlich sehe, die Ticketverkäufe zu steigern. Man muss das Web 2.0 als eine vollkommen neue Domäne sehen, in der Institutionen eine zusätzliche Reputation aufbauen können um damit eine globale Dimension zu gewinnen.”
Maud Dahlem, vom Museum de Toulouse, ist Multimedia Designerin / Wissenschaftliche Mediatorin, und ihr Beitrag “When the museum visitors and the museum professional communities meet around shared interests”
öffnet eine weitere Perspektive auf die bis vor kurzem schwer vorstellbaren Möglichkeiten, die sich für innovative Museumsarbeit im Zeitalter von Web 2.0 abzeichnen. Sie benutzt die Internet-Plattform Flickr, auf der Fotos in Galerien gesammelt und zur Verfügung gestellt werden, um die Besucher zu Mitarbeitern des Museums zu machen. Sie ruft die Besuchergemeinde beispielsweise auf, bei anstehenden Ausflügen in die Pyreneen die Augen offen zu halten und die Kamera schussbereit. Die besten Einsendungen werden für die anstehende Ausstellung über den Lebensraum der Berglandschaft verwendet. Schlüssiger (und eleganter) lässt sich das partizipative Museum kaum denken.
Für ein aufwändiges Restaurationsprojekt, bei dem ein archäologischer Sensationsfund (zwei reich geschmückte Skelette in einer Grabstätte, überraschenderweise gleichgeschlechtlich) aufbereitet wird, startete Maud Dahlem im Netz einen Ideenwettbewerb, in dem es darum ging, die beste Story um das rätselhafte Paar zu schreiben. Auf dem Weg zum Flughafen, unmittelbar nachdem der Wettbewerb lanciert war, erreichten sie allein zehn Geschichten.
Kann es sein, dass man hier an den eigentlichen Kern von Wissenschaft rührt: Zu verknüpfen, bis aus dem Staunen ein Wissen wird?
Im letzten Vortrag berichtet Gemma Redolad, Head of Communication Department, Museu de Ciències Naturals de Barcelona, von eher klassischen Möglichkeiten, Werbung in eigener Sache zu machen. Das Netz ist schnell, und sie benutzte es als Kommunikationsmedium für eine Art Schnitzeljagd, bei der es darum ging, “entwichene” Spezies aus dem Museum (etwa einen Frosch…), die in der Stadt unterwegs waren, einzufangen und ins Museum zurückzubringen. Barcelona wäre nicht Barcelona, wenn diese Aktion nicht spektakuläre Fotos und Begegnungen zwischen Bürgern, den Tieren und dem Museum hervorgebracht hätte.
Mich interessiert am Ende der Veranstaltung, zu welchem Grad die Institutionen ihre Followers, Friends oder ihre Community auch persönlich kennen. Präziser: Wieviele der 19 Millionen Italiener auf Facebook kommen in Elisabetta Curzels Museo Tridentino di Scienze Naturali? Die Antwort ist kurz: “We don’t care – es ist uns gleich. Die Reputation im Netz ist getrennt von der Reputation des Museums als physisches Objekt.”. Die anderen beiden widersprechen nicht.
“Knowing the Ancient’s World: How Science Centres can approach Archaeology” klingt interessant. Warum? Weil Ausgrabungsstätten zuverlässig im Pflichtprogramm von interaktiven Ausstellungen stehen, und man sich jedesmal fragt, was sie so attraktiv macht. Ist es der Sandkasten? Ist es der Kitzel des Entdeckens? Ist es gar das Gefühl, etwas über die Vergangenheit herausfinden zu können?
Sonia Hernandez vom Museu Agbar De Les Aigues in Barcelona beginnt. Sie stellt ein klassisches Ausstellungsprojekt vor, mit einem klassischen Thema: Aqua Romana.
Francis Duranthon leitet die Ausstellungsabteilung am Muséum von Toulouse. In der Ausstellung “Prehistory(ies): The investigation” hat er die Rätsel um eine Ausgrabung mit den Mitteln eines Krimis inszeniert. Das bietet sich an – die Suche des Kriminologen nach Todesursachen nimmt, je grösser die Zeitspanne seit dem Moment des Todes ist, unweigerlich Formen einer archäologischen Forschung an. Was hängenbleibt: Bilder aus dem dynamischen dreidimensionalen Computermodell des vorhin schon erwähnten Frauenpaares. Besser hat man noch nicht gesehen, wie die hundert Einzelteile eines Fusses zusammenpassen…
“The cave of Lascaux: Pandora’s box and treasure of humanity” – Nicolas St Cyr (Art Director des Conseil Général de Dordogne) hat nicht erklärt, warum im Titel seines Vortrages die Schachtel der Pandora vorkommt. Dass die Höhle von Lascaux aber ein Schatz der Menschheit ist, das beweist (nicht erst) das Projekt einer Wanderausstellung, mit der die Höhle als dreidimensionales Computermodell, minutiös gescannt und in Teilen von Künstlern nachgebaut (nicht etwa am 3D-Plotter rausgelassen…) in den nächsten Jahren auf Tournee gehen soll. Gerade als man sich ausmalen wollte, wie es sich denn in der Nachbildung von Lascaux anfühlen würde, und für welche immersive Erfahrung das Datenmodell in seiner die Vorstellung übersteigenden Auflösung dienen könnte (selbst millimetergrosse Bearbeitungsspuren an den Wänden werden abgebildet und können sichtbar gemacht werden) – da brach zwischen Mike Bruton (MTE Studios Kapstadt) und Olivier Retout (Consel Régional de Dordogne, und St Cyrs “Boss”) ein akademischer Streit darüber aus, ob denn nun Science Theater ein gutes Mittel ist, um einem breiten Publikum die Archäologie näherzubringen. Bruton konnte einem Leid tun – für einen redegewandten Franzosen wie Retout war es ein Kinderspiel, Science Theater als so ziemlich das einzige Medium zu identifizieren, das sich nicht besonders für die Vulgarisierung von Archäologie eignet.
Trotzdem: Respekt für Mike Bruton: Er hat ein (Science) Theater angezettelt…
Das Centrum Nauki Kopernik hat ein Planetarium der neuen Generation. Unter dem schönen Titel “The Fulldome Mind Blower Experience”sprachen Isabella Buczek (Multimedia Designerin, Warschau), Robin Sip (Show Producer, Magian Design Studios in Melbourne) und Glenn Smith (Managing Director der Firma Sky-Skan Europe) über ihre Erfahrungen beim Arbeiten an mind-blowing Präsentationen für 360° Kuppeln.
Zunächst mal: Sprechen ist eigentlich überflüssig, denn wenn der Mond dreidimensional (dank Pol-Brille) auf dich zurast und erst kurz vor der Nase zum Halten kommt, dann ist das ein Spektakel ohne Worte. Das Publikum durfte dann mit Glenn Smith zu einer in Echtzeit gerechneten und projizierten Reise ins All aubrechen. Es war ein wenig wie in der Fahrschule: Die Richtung halten will gelernt sein, und Abbiegen an der falschen Stelle kann schlimme Folgen haben. Im Asteroidengürtel navigierten Smith und sein “Pilot” in der hinter den Besuchern liegenden Steuerkanzel Zickzack – bei den Exoplaneten angekommen entspannte sich die Situation aber wieder und den lichtjahreweiten Weg zurück in unsere Galaxis fand der Dome fast von alleine.
Was ist hier interessant gewesen?
1. Die erzählende Stimme eines Conférenciers ist wichtiger Bestandteil der Reise in die abstrakten Weiten
2. Das Weltall in purer Form ist immer noch das dankbarste Sujet für dreidimensionale Kuppelprojektionen. Die Ausschnitte aus 3D – Spielfilmen, “Dawn of the Space Age”, und “Darwin”, beide produziert von Mirage 3D, fallen weit hinter die Illusion zurück, die der Kosmos hinterlässt. Das liegt zum Teil daran, dass die Mischung aus Realbildern und “künstlichen” Räumen unterschwellig vom Betrachter als gekünstelt eingeordnet wird, einfach nicht überzeugt. Und dann – ist alles so dunkel! In den Kuppeln fehlt einfach das Licht, das auf Kinoleinwände gerichtet werden kann. So spielt sich alles in einer Art amerikanischer Nacht ab, auf Dauer ermüdend.
3. Die Sitzordnung und auch die Navigation in den Kuppeln ähnelt immer mehr dem traditionellen Kino – und die Bildregie dem Blick durch die Windschutzscheibe. Das Neue kommt immer von vorne. Warum ist das so? Der Nachthimmel ist das Gegenteil einer Windschutzscheibe, und die Kuppel auch…
4. Wer sich für den Planetariumsblick ins All interessiert, der sollte sich unbedingt alternativ ansehen, was kleine Systeme, mit 6-8 Metern Durchmesser für etwa 30.000 EUR können! Die waren auf der ECSITE im Ausstellerbereich ebenfalls präsent – und überhaupt nicht übel!
Zum Abschluss gabs noch eine Pecha Kucha Session, in der die charmante Claudia Schleyer von der Agentur Triad in Berlin die Frage stellte “Dramaturgy in Exhibitions: A Help or Hindrance?”.
“Stories are a powerful tool, but exhibitions with firm storylines raise questions about visitors’ freedom to explore content on their own. Should science exhibitions suggest paths or simply let visitors create their own journeys? What motivates visitors to explore an exhibition? Is dramaturgy necessary for us to understand what we experience? How can we meet visitors’ needs? Is what they want to experience the same as what we want them to experience? These issues bring visitors’ and designers’ freedom into question.”
Wer die vergangenen zehn Jahre auf Ausguck in die Etikette des Ausstellungsmachens nicht verschlafen hat, der weiss, dass diese Fragestellung den Frontverlauf zwischen romantisch-gefühligen Künstlertypen und nüchternen Mechanikern der Besucheraufklärung abbildet. Alle zielen auf dasselbe: die Seele des Besuchers. So weit, so ernst.
Es kam aber gar nicht so schlimm, wie es die Polarisierungsrhetorik erwarten liess. Maarten Okkersen, Clara Lim, Lutz Engelke, Michèle Antoine und Matteo Merzagora waren sich, teilweise sogar bis in die Bilder, die sie zur Illustration Ihrer Standpunkte verwendeten, darin einig, dass Dramaturgie Ausstellungen hilft. So weit so gut.
Auffällig: Die Werbung und, in geringerem Masse, die Kunst stehen Pate, wenn diese renommierten Kuratoren, Ausstellungsdesigner, Leiter von Ausstellungsabteilungen an Museen und Wissenschaftskommunikatoren von Dramaturgie sprechen.
Vielleicht gibt es im nächsten Jahr diese Art von Debatte wieder, aber mit greifbareren Beispielen. Nach dem Motto: “Das hier habe ich / haben wir gemacht, weil …”
Und möge niemand auf die Idee kommen, sich dann mit einem “…Höhere Mächte befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!” aus der Affäre zu ziehen.
Das ist vom grossartigen H.M. Kippenberger.
Einem Künstler.