Städtebau nach Corona.

10. April 2020

In einem kleinen Team arbeiten wir gerade an einem städtbaulichen Wettbewerb für eine vitale „kleine Großstadt“. Es geht um Ideen für die zukünftige Nutzung einer zentrumsnahmen Fläche, gelegen zwischen Autobahn und Eisenbahn, genutzt als Großparkplatz.

Die Ironie der Geschichte will es, dass ausgerechnet mit der Auslobung des Wettbewerbes im Februar 2020 die Welt ein Stück aus den Fugen gerät. COVID-19, Pandemie hervorgerufen durch den Corona-Virus, hat mittlerweile den Alltag paralysiert. Keine Flugzeuge mehr am Himmel, geschlossene Schulen und Fabriken, Quarantäne. Angesichts der Ungeheuerlichkeit der globalen Vorgänge und ihrer zu erwartenden Folgen erscheint uns das Programm für den Wettbewerb überholt. Noch viel mehr aber beschäftigt uns die Zeitachse: Wir sollen über eine Situation nachdenken, die sich vielleicht in zehn Jahren einstellen wird. Wenn alles gut geht. Immer folgerichtiger erscheint uns deshalb, auf diesen Wettbewerb in einer Form zu antworten, die uns voraussichtlich disqualifizieren wird. Die aber eine Handlungsanweisung sein könnte, oder ein Vorschlag, wie ab sofort mit dieser wertvollen Fläche verfahren werden kann. Denn Abwarten ist keine Option. Mit den Erfahrungen aus COVID-19, und zum Wohl der Stadtgesellschaft. Uns schwebt eine Zwischennutzung im großen Maßstab vor. Und deren Geschichte geht so:

Niemals zuvor in der Geschichte des Planeten haben so viele Menschen gleichzeitig so viel Neues erfahren wie in diesem Frühjahr 2020. Die Erfahrung reicht quer durch alle Felder: Zusammenleben, Gesundheit, Technologie, Forschung, Ethik, Politik und natürlich auch Kreativität. Alle machen beim wochenlangen Shutdown die Erfahrung, mit „Bordmitteln“ arbeiten zu müssen. Eigene Vorräte, aber auch eigenes Know-How sind wichtig. Noch interessanter aber ist, wie man an weitere Vorräte oder an zusätzliches Know-How kommt. Autokonzerne wie BMW etwa unterbrechen die Produktion von Fahrzeugen – um sich im Verlauf darin zu versuchen, Beatmungsgeräte herzustellen. Bauanleitungen von Gesichtsschildern für medizinische Zwecke zirkulieren in der Maker Szene, während Schnittmuster für Masken auf Küchentischen landen. Nennt man das Crowdsourcing, In- oder Outsourcing? All das sind jedenfalls keine Symbolhandlungen. Die genannten Güter sind zur Zeit knapp auf der Welt, und Know-How fliesst frei umher und trifft auf Produzenten. Die Grenzen von Forschung und Anwendung verschwimmen, die Polarität von Forscher und Nutzer ist aufgehoben. Das wird besonders deutlich am Beispiel der geplanten App, mit der Menschen per App ihre Bewegung tracken und damit ermöglichen, dass Kontaktpersonen im Falle einer Infektion superschnell identifiziert werden können. Wenn die Läden wieder öffnen, werden sie nicht mehr von Konsumenten sondern von Prosumenten betreten werden. Die Konsumenten haben Merkmale von Produzenten entwickelt. Sie haben sich im unterrichten, pflegen, backen, forschen, interpretieren und politisieren geübt, und sie sind dabei nicht zuletzt ihrer Kreativität begegnet.

Dabei gilt: ohne digitale Technologien und das World Wide Web hätten wir nicht verfolgen können, wie sich die Situation dynamisch verändert, und wir wüssten weniger gut, wie es um uns steht. Wir wären abgeschnitten vom großen Geschehen, und damit hätte auch unser persönliches Erleben eine Dimension weniger. Das WWW stellt im Moment die Zirkulation von Nachrichten und Know How sicher. Es gilt aber auch: Ohne analoge und traditionell weit verbreitete Technologien, wie zum Beispiel Nähen, würde der Impuls, selbst tätig zu werden und beispielsweise Schutzkleidung selbst herzustellen, nicht so weit in der Gesellschaft Früchte tragen. Alle Werkzeuge des homo sapiens sind gerade gefragt.

Wie Städte nach CORONA wachsen.

Die Erfahrungen aus der CORONA Krise gehören schon jetzt untrennbar zu innovativer Stadtentwicklung. Und jeden weiteren Tag der Krise wachsen die Städte mit all ihren Bewohnern und all ihren Infrastrukturen, Wertschöpfungen und eingeübten Prozeduren in eine Zukunft, die selbst einem Science Fiction Autor erstmal einfallen muss. Nochmal flacher wird die Welt gerade, nochmal kommunikativer (trotz oder gerade wegen des persönlichen Abstandes, der einzuhalten ist), nochmal mehr kommen die Bausteine zur Bewältigung des Alltages unter schwierigen Bedingungen aus allen Richtungen: best practice zählt, was auch immer hilft kommt an – sei es brandneu, altbewährt oder lang verschüttet gewesen. Gleichzeitig schrumpft die Zeitachse. Was mal Jahre brauchte, ist nun in wenigen Tagen möglich. Interessant ist dabei die Beobachtung, dass alles menschengemachte sich beschleunigen lässt – nicht aber die Natur. Selbst der amerikanische Präsident hält sich nun zurück mit Ankündigungen eines Impfstoffes. Denn die Biologie, das Leben selbst, kümmert sich nicht um Dekrete.

Bei allem Schrecken: Wir erleben einen Schlüsselmoment für die Zivilisation. Die Menschheit übt quasi über Nacht kollektiv neues Verhalten ein, über die kulturellen Unterschiede hinweg. Sie wirft alte Routinen über Bord und erlebt, wie Automobilwerke plötzlich Beatmungsgeräte produzieren können und dass die gute alte Nähmaschine dafür taugt, Gesichtsmasken herzustellen wenn es keine mehr zu kaufen gibt. Ausgeschlossen, dass wir zurückgehen in die alten Routinen. Wir haben zu viele echte Beispiele gesehen. Aus was-wäre-wenn ist oh-es-funktioniert geworden.

Die Stadt hat Vorteile, wenn sie nun Biotope für die technischen, medizinischen und gesellschaftlichen Innovationen schafft, die in der Krise das Keimen begonnen haben. Aktive Bürger, Wissenschaftler und Politiker suchen einander, das hat schon vor CORONA begonnen mit der Bürger-schaffen-Wissen-Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft (BMBF) und mit Initiativen einzelner Forscher an vielen Universitäten. Am fruchtbarsten sind solche Anfänge überall dort, wo sich die Beteiligten auf Augenhöhe treffen können. Um sich auszutauschen, aber auch um mit neuen Vorhaben loszulegen und an begonnenen Projekten weiterzumachen. Der Ort dafür ist nicht das Labor, nicht das Rathaus, und auch nicht das Wohnzimmer oder der Hobbykeller. Aus langer Erfahrung mit Makerspaces, Fab Labs und urbanen offenen Experimentierräumen wissen wir, dass in niedrigschwelligen Rapid-Prototyping Umgebungen und offenen Werkstätten der Funke für Neues geschlagen wird, das bleibt. Das Bild dafür ist die Stadt als Lab, als Service-, Wissens-, Werte- und Gütergenerator. In diesem Stadt-Lab, einem dritten Ort, nicht Labor und nicht Garage, begegnen sich Hi- und Low-Tech, nicht nur in Krisenzeiten, sondern am besten rund um die Uhr. Schliesslich gilt es nachzuvollziehen, wo wir besonders kreativ und innovativ waren an Brennpunkten der Krise, und dieses Know-How für alle verwertbar offen zu legen. Doch es gibt noch einen Aspekt: Der Stillstand wird für vieles endgültig sein. Daher herrscht Druck, schnell herauszufinden, womit wir uns als Gesellschaft nun intensiv beschäftigen sollen, um wieder rund zu laufen. Und wenn wir es gut anstellen sogar runder als zuvor.

In diesem Szenario ist der Großparkplatz ein Glücksfall. Er ist sofort verfügbar als Zone für gesellschaftliches Prototyping, für unternehmens-, branchen-, und fakultätsübergreifenden Wiederaufbau. Das mag wie ein Experiment erscheinen, aber aus der aktuellen Perspektive ist Handeln einleuchtender als Nachdenken. Wie sieht die Zwischennutzung aus? Erschwinglicher, gut erschlossener Raum für jede Form von Know-How Transfer und Rapid Prototyping – vom e-Bike bis zur Stadt-Tomate. Bio-Technologie ist hier genauso am Platz wie Medizintechnik, wie Boden- und Klimakunde oder Mobilität für die Zeit nach dem Verbrenner. Code hat dabei nicht unbedingt einen höheren Wert als ein Gedicht, ein 3D-Drucker übertrumpft nicht automatisch die Nähmaschine. Es ist möglicherweise auch der Moment gekommen, sich den Werten, der Qualität an sich, zu widmen und im Nachhall einer zum Stillstand gekommenen Welt über den Charakter unserer zukünftigen Wertschöpfung nachzudenken. Welche Werte wollen wir schöpfen, und wie? Tatsächlich werden in diesen Zeiten auch ethische Fragen von normalen Menschen sehr expertenhaft gestellt und beantwortet, vielfach durch einfach selbst machen. Die weltweite Kommunikation von Laien und Experten, die wir gerade erleben, und die Kompetenz, die jede(r) gerade entwickelt, entwickeln muss, und was daraus entsteht: Das ist kein leeres Spektakel sondern eine brandneue Errungenschaft, Basis für eine neue Gründerzeit. Erwin Moritz Reiniger, dessen Erlanger Werkstatt in die SIEMENS AG mündete, hat es vor mehr als 130 Jahren wohl nicht anders gemacht.

1 Kommentar zu „Städtebau nach Corona.“

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