Re-opening: „Bitte nicht berühren“ ist das Gebot der Stunde, aber auf Dauer keine Option.

25. April 2020

Es sieht aktuell so aus, als wären beim Wiedereröffnen des öffentlichen Lebens diejenigen Museen im Vorteil, die ihre Objekte hinter Glas präsentieren und die mit Aufschriften wie „Bitte nicht berühren“ das Abstandhalten kultiviert haben.

Nach mehr als zwanzig Jahren Entwicklung in Richtung „Hands on“ und handgreiflicher Interaktion durch die Besucher stehen die weitgehend artefaktfreien Science Center vor einer größeren Aufgabe als die Sammlungshäuser, wenn es darum geht, Regeln für den Betrieb unter den Bedingungen der noch nicht überwundenen Pandemie zu finden. Denn die vielen mehr oder weniger aufwändigen interaktiven Exponate mit Hebeln und Schaltern, mit Druckknöpfen und Touchscreen-Monitoren, oft zum Einsteigen oder zum Draufsitzen, widersetzen sich ihrer Natur nach der neuen Etikette des Abstands. Die Anstrengung und Kunst konstruktivistischer Pädagogik ging ja gerade dahin, den Abstand zwischen Objekt und Besuchern zu verringern und die Menschen zu Akteuren zu machen. Sie sollen und müssen anfassen, oft auch gemeinsam, und keine Angst davor haben, sich im Museum oder Science Center auch mal die Hände schmutzig zu machen. Das ist erstmal vorbei, auch gemeinsam geteiltes Werkzeug, vom Buntstift zum Mikroskop, stellt ein höheres Ansteckungrisiko dar als die Mumie hinter Glas oder die Goldmünzen in der Vitrine. Von den Touchscreens, die in ihrer Vielseitigkeit dabei waren, zum universellen Text- und Erklärungsträger des Museums zu werden, gar nicht zu sprechen.

Eine Momentaufnahme, die Freunde des Hands-on mutlos machen könnte. Müssen die Anhänger des pädagogischen Konstruktivismus und ergebnisoffener, partizipativer Angebote in Museen nun wohl oder übel die Hände in den Schoß legen und erstmal in Gemäldesammlungen ausweichen, um weitere Lockerungen dort im sicheren Abstand abzuwarten? Das ist nicht etwa eine schlechte Idee. Die Sammlungsmuseen sind Perlen und sie verdienen jede Aufmerksamkeit. Der Wert einer Sammlung hat sich in diesen Monaten auf einen Blick herausgestellt: Kaum ein(e) Museumsleiter(in) liess es sich nehmen, persönlich durch menschenleere Galerien zu führen und diesen Director’s cut ins Netz zu stellen. Oder per Blog eine geschlossene Ausstellung vorzustellen. Das ist wunderbar, abgesehen vielleicht von der Überfüllung des online-Kanals in diesen Tagen. Hoffentlich hat es viele Museumsleute darin bestärkt, buchstäblich neue eigene Wege zu gehen bei der Vermittlung der eigenen Sammlung. Denn das ist das Gebot und vielleicht die Chance der Stunde: Mit Bordmitteln arbeiten, die Fantasie mobilisieren und die Lebendigkeit partizipativer Ansätze auf die Domäne der Historiker und Fachgebietsspezialisten übertragen. Denn Ausstellungen mit Vitrinen müssen nicht steril sein.

Ideen sammeln, Materialien finden, Selbermachen als Wert herausstellen, Kommunikationskanäle schaffen.

Doch die Krise zeigt jedoch auch: Je weiter partizipative Formate und ergebnisoffene Angebote entwickelt und verankert sind, desto selbständiger machen sie die Menschen, die mit ihnen in Kontakt gekommen sind. Im Denken wie im Handeln. Diese gesunde Autonomie bewährt sich momentan, in der Phase erzwungener Isolation. Das zeigt der große Hackathon der Bundesregierung WirVsVirus, der im März dieses Jahres 25.000 Menschen dazu gebracht hat, überwiegend von zuhause aus erfinderisch und kreativ zu kooperieren. Das zeigen auch die Makerspaces, die sich drangemacht haben, Schutzmasken und sogar Komponenten für Atemgeräte nach open-ource Bauanleitungen dezentral und koordiniert herzustellen.

Das wäre vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen und es ist all den Individuen und Einrichtungen zu verdanken, die das Postulat Neil Gershenfelds in seinem Buch „Fab“ (aus dem Jahr 2005), mit digitalen Fabrikationswerkzeugen könne man (fast) alles selbst herstellen, seither ernst genommen haben. In der vergangenen Dekade haben die Science Center und Museen das „Denken mit den Händen“ als Konzept entdeckt und übernommen.

Im Moment des Lockdown gibt es jedoch wenig vorgezeichnete Pfade. Pfadfinder sind gefragt, um Wege aus den stillgelegten Museen und dem riesigen Repertoire atemberaubender DIY Hacks in die unzähligen Wohnungen zu finden, in denen nach wie vor Eltern mit ihren Kindern tapfer versuchen, die Zeit der sozialen Distanz irgendwie gut zu gestalten. Es ist eine Herkulesaufgabe, es mangelt oft an Werkzeugen, selbst an Klebstoff, oder am Glauben der Eltern, dass „Basteln“ überhaupt einen Wert haben könnte, dann wieder gibt es nicht einmal Internet, oder nicht genug Internet, oder der Rechner fehlt. An all diesen Stellen gibt es Arbeit: Ideen sammeln, Materialien finden, Selbermachen als Wert herausstellen, Kommunikationskanäle schaffen.

Alle, die in diesem Sektor arbeiten, sollten diese besondere Zeit deshalb auch dafür nutzen, an den Angeboten zu feilen, die auf eine eigenverantwortliche, kreative und partizipative „Grundausbildung“ im Entwickeln und Anwenden von Know How hinauslaufen. Dabei hilft die Sichtweise, dass es letztlich schon immer die Besucher selbst waren, die sich in Museen gebildet haben, nur eben auf vorgezeichneten Pfaden. Beim Basteln und Selbermachen hingegen erweist sich: Wer einmal auf den Geschmack gekommen ist, dass das Wissen und sein praktischer Bruder, das Know How, keine statische Masse ist sondern aus der Rekombination von Gegebenem ständig neu erzeugt wird, verspürt auch im Lockdown wenig Stillstand.

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Anmerkung: Die ecsite-makers, eine Gruppierung „freier Radikale“ aus der globalen Maker- und Tinkering-Szene, die sich während der jährlichen ecsite-Konferenzen (Netzwerk europäischer Wissenschaftsmuseen und Science-Center) seit 2013 organisiert hat, wird zum „ecsite-Tag 2020“ am 11. Juni 2020 im großen online-Programm zwischen 10.00 und 19.00 Uhr Vorschläge für spritzige Ideen zu making und tinkering präsentieren. Als Gegengewicht zu endlosen webinars und online-chats, die uns gerade an die Monitore fesseln.