Im Schatten der singenden Brücke: Erklären mit Leidenschaft | Ecsite Conference Lisbon, 31 May-2 June 2007

6. June 2007 / 13. October 2019

Die Ecsite (European Network of Science Centres and Museums) Konferenz 2007 in Lissabon öffnete zwischen dem 29. Mai und dem 2. Juni eine Vielzahl von Fenstern auf die aktuelle Landschaft der Science Center und der naturwissenschaftlichen Museen.

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Der Inhalt der Konferenz kommt verpackt in fünfundsiebzig Sessions daher, und wenn man davon ausgeht, dass darin jeweils zwischen drei und fünf Beiträge ein Thema ausloten, dann kommt man auf dreihundert Visionen, Meinungen und Erlebnisberichte, die während der drei Tage von Lissabon über die Rampe geschickt wurden. Was bleibt davon?

Da war zunächst eine Reihe von Sightseeing-Touren, die zu neuen oder geplanten musealen Attraktionen führten. Sofern es sich um (Museums)Neubauten handelte, wie das Heilbronn Science Center oder die Körperwelt Corpus aus Wassenaar in den Niederlanden, war eine gewisse architektonische Einfalt nicht zu übersehen, aber das soll hier nicht im Mittelpunkt stehen. Wir alle wissen schliesslich, dass die berühmte schwarze (oder weisse) Kiste die Mutter aller Museumsarchitekturen ist, und wir wissen auch, dass schiefe, gewaltig schiefe Gebäude die Sehnsucht aller Tourismusmanager sind.

Die Auswahl der Projekte liess jedenfalls überhaupt keine Schlüsse auf einen Trend zu, dafür war die Kluft zwischen Aserbeidschan, Luzern und den oben schon genannten Standorten einfach zu gross.

Interessanter ist allemal die Frage nach der Interaktion im Museum. Die Rolle, die den Besuchern zugeschrieben wird, ist eine immer aktivere. Im Ontario Science Centre wird der Besucher vom “visitor” zum “participant”, das Exponat wird zur “experience”, das Museum wird “a place to start new relationships”. Im anderen Fall produziert der Besucher auch den Inhalt der Ausstellung, die er besucht. Wer bekommt den Eintritt? Auf der anderen Seite rückt der Wissenschaftler näher ans (oder sogar ins) Museum. Für das Natural History Museum in London wird er zum berühmten “u.s.p.”, dem unique selling point, mit dem sich das London NHM von den anderen Einrichtungen seiner Art absetzen will. Wissenschaftler, die selbst zu Wort kamen, schilderten ihren Auftritt im Museum als selbstverständlichen Akt: Das Museum ist der Ort, an dem sie mit der Allgemeinheit, die in der Regel ihre Arbeit bezahlt, zusammentreffen, und an dem sie also darüber aufklären können, was sie den lieben langen Tag so tun. In der Mitte zwischen Besucher und Wissenschaftler / Spezialist steht der Museumsmitarbeiter, vom Explainer über den PR Verantwortlichen bis zum Leiter der Institution. Alle müssen sich angesichts einer dramatisch umbrechenden und konvergierenden Unterhaltungs- und Erkenntnisindustrie Fragen stellen nach neuen “content platforms” oder nach der “brand extension”. In beiden Fällen läuft es auf die üblichen Verdächtigen hinaus, die von den Museumsmusen geküsst werden: das Fernsehen oder Kino, Buch und Print, das Internet. Viele Anfänge – und noch viel zu tun. Eine der wenigen wirklich überzeugenden Erweiterungen eines Museums war die Integration von Wissenschaftlern und ihrer Arbeit auf der Webseite des Universeum im schwedischen Göteborg.

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Die Science Center Welt ist gespalten

Wenn wir schon polarisieren: Die Museums- und Science Center Welt ist immer noch tief gespalten. Worum geht es?

Eine andere Front des Kampfes um die richtige museale Haltung verläuft auf Höhe der Ausstellungsgegenstände. Was zeigen wir? Bildschirme? Elefantenfüsse (echte)? Saurierknochen (abgegossene)? Die Debatte “Authentic objects – authentic experiences” griff die ewig spannende Frage auf, was das “echte” Objekt im Museum verloren hat. Aus dieser Art der Formulierung wird schon deutlich, dass die museale Institution, die über Originale verfügt, gegenüber den “flachen” Medien wie TV oder Internet zwar eine bessere Ausgangsposition in der Jagd nach Aufmerksamkeit hat, weil der Mensch gerne mehrdimensional wahrnimmt, damit aber das Rennen um die Gunst des Publikums noch nicht gewonnen hat. Denn letztlich ist es der Bezug zu uns selbst, der Rückbezug auf Lebenssituationen die wir kennen, der das Paradox des Museums, nämlich mit toten Objekten ausserhalb ihres Lebens- und Wirkungszusammenhanges umgehen zu müssen, aufheben kann. Wem es nicht gelingt, aus all seinen Originalen den richtigen Funken Neugierde, Staunen oder Überraschung zu schlagen, der hat das Potential des Museums nicht ausgereizt.

In-Zusammenhang-Stellen, durchaus auch mit szenographischen Mitteln oder mit Hilfe von bildenden Künstlern, 3D-Artisten und Theaterleuten wird von der Kirche der Science-Center Puristen immer noch als Sakrileg empfunden. Und so teilt sich die grosse Familie: soll die reine Wissenschaft pur auftreten und rein und pur im Museum ausgestellt werden, oder hat sie gegenüber dem breiten Publikum das Recht und vielleicht sogar die Pflicht, eine populäre und auf unterschiedlichen Ebenen dekodierbare Form anzunehmen?

Die Wahrheit ist: beide Herangehensweisen können zu Ausstellungen führen, die den Menschen berühren und verändert zurücklassen. Und keine birgt eine Garantie dafür. Ich habe den Eindruck, dass sich eine dritte Kraft bildet, die das Beste beider Welten destilliert und in atemberaubende Ausstellungen übersetzt. Warten wir auf “Ships and the Sea”, zu sehen ab September im finnischen Science Center Heureka, in Vantaa. Neben den Prinzipien und Naturgesetzen, die der Seefahrt zugrunde liegen, wird auch deren Geschichte nachgezeichnet, und Seefahrer aller Zeiten erstehen auf. Zu Recht: was interessiert den Menschen mehr als der Mensch?

Wir müssen noch über Ethik, Pflicht und Verantwortung des Museums reden.

Wir müssen noch über Ethik, Pflicht und Verantwortung des Museums reden. Denn eine nicht geringe Reihe von Vorträgen war dem unterschwellig immer präsenten Thema gewidmet, wie das Museum mit “schwierigen Themen” (Sex, Politik, Tod, …) und der Kommunikation von Risiken (Virusinfektionen, …) umgehen soll.

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Da gab es unter dem Veranstaltungstitel “So different – so similar” eine Art Aufbruch zum Kreuzzug gegen die Gläubigen – die in Gestalt der Kreationisten und Anhänger des “Intelligent Design” Darwin leugnen und damit in den U.S.A. schon weit in die Gesellschaft hineinwirken. Eine Teilnehmerin aus Mexiko malte das Gespenst mit den Worten “sie sind noch nicht bei uns angekomen, aber alles aus den U.S. kommt irgendwann bei uns an” an die Wand, und währenddessen improvisierte Gérard Cobut vom Königlich Belgischen Institut für die Naturwissenschaften in Brüssel eine Email-Adresse auf den Videobeamer, unter der die Gegen-Attacke der versammelten Wissenschaft im Raum koordiniert werden soll.

Mit die besten Momente der Ecsite Diskussionen sind Konfrontationen, in denen Dinge zugespitzt werden und damit starke Reaktionen provozieren. Der Bericht von Paul Hix, der als Wissenschftler im Deutschen Museum unter den Augen der Besucher Nanotechnologien erforscht, provozierte Remo Besio vom Technorama Winterthur zur Aussage, dass nur auf solche Weise dem Gegenstand eine angemessene Darstellung im Museum zu verleihen sei. Ein Gegenargument liess nicht lange auf sich warten: “99% der Zeit, die ein Wissenschaftler forscht, passiert gar nichts”. Heiterkeit. Wer aus der an sich schon hervorragenden Session (Nanotechnologies: engaging citizens in the dialogue on social and ethical issues) ein weiteres Nugget mitnehmen wollte, konnte dies in Form der Erkenntnis tun, dass Humor ein nicht zu unterschätzender Lern-Katalysator ist, weil er die spröden Ränder des vermeintlich Faktischen zum Schwingen bringen kann und damit abgestandenes Gedankengut aus dem Weg räumt, um Platz für ein neue Konstrukte zu schaffen.

Vermutlich ist es mit guten Ausstellungen und florierenden Museen genauso wie mit guten Ecsite-Sessions: weniger das Thema entscheidet, als vielmehr der aus Erfahrung und Erfindungsgeist gleichermassen gespeiste Auftritt selbst. Wer nur reproduziert, verliert. Wer die Sprache seines Publikums nicht spricht oder versteht, wird nicht verstanden, und wer es macht wie Jorge Wagensberg, Direktor des wissenschaftlichen Teils der “la Caixa” in Barcelona, der hat alle Herzen und die gesamte Aufmerksamkeit in der Tasche: leidenschaftlich erklären.

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Sein Vortrag im Rahmen von “Managing changes in science centres” brachte allen Anwesenden die einprägsame Erklärung des singenden Tones, den die wunderschöne Hängebrücke über den Fluß Tejo kontinuierlich ausstrahlt, während sie über den Dächern des Konferenzzentrums hoch in den Lüften schwebt: “Wie ein Geigenbogen versetzen die Autos über den Rollwiderstand die Fahrbahn und damit die Stahlkonstruktion des Kolosses in Resonanz – und spielen damit das mächtige Instrument Brücke wie ein Geigenbogen”, sprach Wagensberg.

So anschaulich muss Wissenschaftskommunikation sein!