2 Towers | Rust vs Nirosta – Anselm Kiefer and the objects of St Martin des Champs

18. June 2007

entree-front.jpg

Blitzbesuch Paris. Zwei Türme bleiben in Erinnerung. 30 Minuten Metroreise liegen zwischen beiden. Einer steht im Musée des Arts et métiers, der andere im Grand Palais.

Der erste ist Teil der permanenten Galerien, der andere steht als Teil der MONUMENTA (eine Pariser Antwort auf die Dokumenta?) noch bis zum 9. Juli.

Beide Türme sind unbedingt sehenswert – und beide haben mehr miteinander zu tun, als es den Anschein hat.

arts-et-metiers-1-15-06-07.jpg

Im Technikmuseum “Arts et métiers” gibt es diesen Überraschungsort, die Chapelle Saint-Martin-des-Champs. Ob aus Not oder Kalkül: Gotische Bauformen beherbergen frühe Flugzeuge, frühe Autos, eine Modellskulptur der Freiheitsstatue und ein Stück Flügel des Airbus. Bunte Glasfenster werfen ein ausgesprochen nicht-technisches Licht auf die Ausstellungsgegenstände. Dort, wo man einen Altar erwarten würde, hat ein Foucaultsches Pendel alle Kegel schon abgeräumt und dreht sich um sich selbst. In einem Metallgerüst steigt man nach oben und bekommt die technischen Objekte aus unterschiedlichen Blickwinkeln präsentiert – das Auto von unten, das Flugzeug von oben, den Kirchenraum aus der Engelsperspektive. Kein Rost. Und viele Fragen – ist das die Religion der Technik? Oder nutzt die Technik nur einfach das uralte Inszenierungs-Know how der Kirche (buntes Licht, Bilder, hohe Räume, weit gespannte Bögen)? Spielt die Installation auf die seit biblischen Zeiten notorische Unsicherheit von Türmen, hohen Türmen an? Ist das in Wirklichkeit ein erhobener Zeigefinger?

Wir bewegen uns in einem seltsamen Zwischenbereich: Die technischen Objekte lassen sich betrachten als ästhetisch-handwerklich-industrielle Meisterstücke, und sie sind gleichzeitig geschwächt, gebrochen, aufgespiesst wie Insekten. Sie halten sich gegenseitig in Schach: Das Auto lässt das Flugzeug nicht zu hoch aufsteigen, und der mächtige Gummireifen wäre von seinem Podest aus sofort zur Stelle, sollte der Airbus-Flügel Anstalten machen, sich in die gotischen Rippendecken aufzuschwingen.

Das Ensemble versprüht neben der Faszination für die Wege der Technik und die Werke der Ingenieure eine gesunde Portion Melancholie. Und wird aus Melancholie nicht dieses mal triumphal glitzernde, mal tief herabgedämpfte romantische Gefühl hergestellt, das seinen Siegeszug als kleinster gemeinsamer Nenner aller interessanten Schöpfungen – seien es Romane, Popmusik, Architektur, Inszenierung und Bühne – seit dem Beginn dieses Jahrhunderts mit Bravur fortsetzt?

arts-et-metiers-2-15-06-07.jpg

Im Grand Palais siehts anders aus – die Weltausstellungsarchitektur von 1900 zeigt den Himmel, ohne Filter aus Buntglas. Und genau hier, wo ein Gebäude über lange Zeit die Avantgarde des technischen Fortschrittes ins öffentliche Bewusstsein verschob, zitiert der Künstler Kiefer biblische Propheten und inszeniert er “Palmsonntag” innerhalb eines ausgedehnten Ruinenfeldes.

a-kiefer-grandpalais-08-15-06-07.jpg

Wolken segeln über die neue Stadt, die Anselm Kiefer hier errichten liess. Jedes der sieben Häuser enthält Objekte, die er im Umkreis seiner südfranzösischen Wahl-Heimat Barjac im Gard zusammengetragen hat und die er auf Maluntergründe drapiert hat – zum Trocknen, zum Konsolidieren, zum Botschaft werden. In etwas unordentlicher Schüler – Schreibschrift verfasst er dann die Titel der Werke an die Wände der Häuser, in denen sie beherbergt sind. Die Titel sind aber auch Kommentare oder Assoziationen und Untertitel im Rahmen des Bildes, oder so etwas wie Sprechblasen, die den Faden der Story weiterspinnen, wenn auf der Bilderebene nichts entziffert werden kann.

Es ist die Grösse, die Einsamkeit, die Ausweglosigkeit und das Don – Quichotte – artige Ordnenwollen dessen was nicht und nimmer zu ordnen ist (Krieg, Leid, Leid, Krieg, …), das aus jedem Krümel von Kiefers Material spricht und das die ausgehebelt erscheinenden Türme (einer ist schon zusammengestürzt…) mit letzter Kraft aus ihrer schiefen Position in den Himmel über Paris funken. Wenn das keine romantische Botschaft ist… Viel Rost. Keine Fragen.

a-kiefer-grandpalais-03-15-06-07.jpg