20. April 2008
Jedes neue Museum heute muss sich an der nächsten Tankstelle messen: Es muss einen präzisen Zweck erfüllen können, und für diesen Zweck gebaut oder hergerichtet sein. Es muss einen Nutzen für viele haben, es muss weit leuchten können, transparent und attraktiv aussehen. Es muss neben Treibstoff mehrere Angebote haben, die man insgeheim erhofft, aber nicht unbedingt erwartet, und die sich wunderbar ergänzen. Es muss sich um Verständlichkeit auf allen Ebenen bemühen, denn viele Inhalte sind explosiv. Und schliesslich sind alle Funktionen in höchstem Masse interaktiv: Die Tankstelle ist “Hands-on”, zum Selberanfassen, um einen wichtigen Terminus des aktuellen Wertekanons für wissenschaftlich inspirierte Ausstellungen ganz unverblümt aufzugreifen.
Und vielleicht muss das neue Museum von heute sogar, ähnlich wie die Tankstelle, seine Ausrichtung, seine Geschäftsidee verändern können, für den Fall, dass sein Treibstoff nicht mehr im Zentrum der Nachfrage steht…
An einer Stelle hinkt der Tankstellenvergleich allerdings: Museen waren schon immer ein Überflussprodukt. Museen waren Orte, an denen etwas gezeigt wurde, das entweder aus dem echten Leben zu verschwinden drohte, oder dort immer schon einen schweren Stand hatte. Man hat sich an diese Sicht gewöhnt – bis hin zur Annahme von vielen, dass der Ort für Kunst(-präsentation) das Museum sei.
Museen sind in Wirklichkeit Orte für Lichtblicke. Das sollten wir von ihnen erwarten. Es ist an der Zeit, sich darauf zu besinnen, dass Zivilisation auch den Übergang von der Knappheit in die Sättigung darstellt. Wann immer der Bauch voll und der hetzende oder gehetzte Körper an einem geschützten Platz war, hat der Mensch sich mit unnützen Dingen wie Skulptur und Malerei beschäftigt, und sich von Schönheit (ver)führen lassen.
Das Museum der Zukunft (bzw der Gegenwart, denn wir leben ja heute) verbindet den Pragmatismus der Tankstelle mit dem Überfluss der Zivilisation.
Tour d’horizon: Typen von Museen
Um das Wissenschaftsmuseum neuen Typs noch ein wenig genauer orten zu können, ist eine Spritztour in die Museumslandschaft und in die angrenzenden Gebiete medialer Wissensvermittlung hilfreich.
Es gibt die Tempel für die Hochkultur und ehrwürdige Sammlungen, kristallisiert in endlosen Reihen von Vitrinen, die zu Wahrzeichen ihrer Städte geworden sind und die von den Massen konsumiert werden wie ein Hamburger oder ein Radiohit. Es gibt eine zweite Reihe solcher Institutionen. Dort wird harte Arbeit gemacht. Denn Louvre oder ein MOA sind Selbstläufer. Über die Funktionsweise der zweiten Riege (unter die beispielsweise das Neue Museum in Nürnberg fällt) wollen wir noch sprechen. An anderer Stelle.
Als nächstes sehen wir jede Menge Stadt- und Landmuseen, zu möglichen und unmöglichen Themen, immer ein wenig im Schatten, immer mit (zu) geringen Budgets hantierend, immer mehr oder weniger in der nicht uninteressanten Rolle des lokalen historischen (kritischen) Gedächtnisses. Das sind Menschen-Museen, weil sie ohne diejenigen, die sie aufgebaut haben und unterhalten, oder ohne die, welche dort zum Inhalt beitragen, einfach nicht existieren würden. Über diese Gruppe liesse sich viel sagen – etwa, dass es Juwelen gibt wie das kleine Nagel(!) Museum im verlorenen Ort Forno di Zoldo im gleichnamigen Dolomitental. Authentisches Gebäude – Originale – gutes Licht – ansprechende (grafische) Präsentation – Funktionsmodelle – Augenzeugenberichte. Ein Traum.
Kommen wir zur Familie der Science centres, die angelsächsischen Pragmatismus auf die romantische Museumskonzeption Europas anwendet und die damit spätestens seit dem Milleniumswechsel auf breiter Front Boden gut macht. Dabei ist es interessant zu wissen, dass schon seit 1888 in Berlin Orte wie die Urania existieren, an denen Wissens-Theater, Sterngucken und physikalisches Kabinett gekreuzt werden. Werner von Siemens befand sich übrigens unter den drei Gründern der Urania.
Und auch das vom Ingenieur Oskar von Miller in München 1903 initiierte Deutsche Museum, das sich als gebaute “Enzyklopädie der Naturwissenschaften und der Technik” versteht, hat schon 63 Jahre auf dem Buckel, als der Physiker Frank Oppenheimer 1969 in San Francisco das Exploratorium gründet, das am Ursprung einer Bewegung “informeller Lernorte” in unserer Zeit steht.
All die genannten dreidimensionalen “Wissensmaschinen” stehen heute dem vor Informationen berstenden Internet gegenüber, das man nur anzupieken braucht, um mit Wissen kontaminiert zu werden (oder zumindest mit etwas, das so aussieht wie Wissen). Wir haben bis jetzt noch nicht von den Discovery channels und RSS-Feeds dieser Welt gesprochen, die man in jede verästelte Wissensdisziplin hinein abonnieren kann, um an das zirkulierende Wissen angeschlossen zu bleiben.
Jedes der angesprochenen Modelle, Wissen zu bündeln und in Lernerfahrung umzuwandeln, hat seine spezifische Ausrichtung und Wirkungsweise, und zielt auf ein spezifisches Publikum.
Mehr denn je muss das Wissenschaftsmuseum beweisen, wofür es steht, was es kann, was es auszeichnet. Härter war die Konkurrenz noch nie – und klarer konnte noch nie ein Erfolgsrezept formuliert werden:
Bringt handgreifliche Erfahrung in immersive Umgebungen, mit schneller Rückkopplung, unter Einsatz der neuesten populären Medien. Schafft Kontext mit Themen, die lokale Besonderheiten und universelle Prinzipien verbinden. Und habt Mut zur Lücke.
P.S.: Je länger wir über den Begriff Wissenschaftsmuseum nachdenken, desto lieber würden wir ihn ersetzen durch “Neugierdemuseum”. Das Wissenschaftsmuseum neuen Typs ist also ein Neugierdemuseum. Warum? Weil das Wort Neugierde im Museumsnamen hilft, die adäquate Perspektive einzunehmen: Das Museum ist weniger ein Ort, an dem Wissenschaft vorgeführt wird, sondern an dem Neugierde befriedigt wird. Noch besser wäre es, wenn das Museum diese Neugierde, einen universellen menschlichen Treibstoff, synthetisieren lernt. Museen, die keine Neugierde befriedigen, werden einen ganz schweren Stand haben, und solche, die Neugierde kreieren können, werden florieren. Florieren bedeutet: sie werden Teil einer stimulierenden Wissenslandschaft, deren Horizont sich zwischen Schulen, Universitäten, Unternehmen und Städten aufspannt.