Gestern traf sich bei zukunftkreativ_erlangen die „Koalition der Kreativen“ (so Wirtschaftsreferent Konrad Beugel) aus unserer Stadt, um die Chancen der Branche auszuloten. Schon das Tandem aus Kulturreferentin und Wirtschaftsreferent als Gastgeber macht klar, dass die Künstler und Kreativen nicht mehr nur als reiner Dekor einer ansonsten wirtschaftsgetriebenen Kommune gesehen werden.
Es ist auch nicht so, dass man sich Sorgen um eine bedrohte Spezies machen müsste – der Report zur Kulturwirtschaft Erlangen 2019 zeigt, dass Kreative hier jährlich einen Umsatz von fast 370 Mio EUR erzeugen. Mehr als die Bauwirtschaft. Über dem Durchschnitt Bayerns, über dem Bundesdurchschnitt, auf Augenhöhe mit Städten wie Stuttgart, Düsseldorf, Leipzig – man glaubt es kaum. Allein die Gründerquote ist (noch) niedrig, und die klassischen Künstler (der Report identifiziert sie an ihrer Mitgliedschaft in der Künstlersozialversicherung KSV) leben nicht allein von ihrer Kunst.
Der Sinn und Zweck der Veranstaltung ging jedoch weiter: Sehr glaubhaft versichert Kulturreferentin Anke Steinert-Neuwirth, dass sie angesprochen werden will, wenn kreative Dinge aus eigener Kraft nicht weiterkommen. Und da sie ja auf einem imaginären Tandem mit Wirtschaftsförderer Konrad Beugel sitzt, vorne sogar, besteht jede Hoffnung, dass die Kreativen den vielleicht besten Draht in die Stadtverwaltung haben, den es seit langem gab.
Eine ganz andere Frage ist, wie das knappste Gut vermehrt werden kann, das Kreative und Künstler sich heute abend wünschen: Raum zu Entfaltung.
Projekte wie exTeppich und Studio B11 florier(t)en in Zwischennutzungen, sind aber auf Dauer angelegt: als urbanes digitales Experimentierfeld für alle Generationen, und als semi-öffentliches Atelierhaus à la „auf_AEG“. Und an dieser Stelle wird die Größe der Aufgabe spürbar, die vor zukunftkreativ_erlangen liegt: Die prosperierende Stadt ist Geisel des eigenen Erfolges. Erlangen zieht in Zeiten von Negativzinsen eine bestimmte andere Branche ganz besonders an, die Immobilienwirtschaft. Und wenn sich da draussen internationale Investoren Bietergefechte um Erlanger Grund und Boden liefern, sind nach eigener Auskunft auch den Wirtschaftsförderern die Hände gebunden. „Die gehen gar nicht ans Telefon, wenn wir anrufen“ sagt mir Harald Bretting aus der Wirtschaftsförderung. Auch das glaubt man – kaum.
So schwer es zu ertragen ist, dass im Herzen der (Alt-)Stadt Stillstand herrscht: Eigentum verpflichtet in diesem Fall – zu nichts. Dank steigender Bodenpreise ist auch Leerstand ein Geschäft. In einer solchen Situation helfen manchmal unkonventionelle Ansätze. Einer könnte lauten:
Solange die Wette auf unbegrenztes Wachstum läuft, gibt es aus heutiger Sicht keine Hoffnung auf ein Nachgeben des Preisdrucks auf Lebens- und Experimentierraum. Entschliesst sich die Stadtgesellschaft aber, nicht weiter auf quantitatives Wachstum zu setzen und stellt sie stattdessen Wachstum bei der Qualität des urbanen Lebens in den Mittelpunkt, tritt sie aus der Wette aus und beendet ein Rennen, das eh nicht zu gewinnen ist.
Weniger Autos, bessere Luft, erträgliches (Stadt-)Klima, bezahlbares Wohnen, mehr Integration, lokale Ernährung – wie geht das zusammen mit der Logik des größer, weiter, höher und schneller? Und: Kann jemand sagen, wann eine Stadt ausgewachsen ist?
Der letzte bedeutende kreative Schachzug in der Stadtentwicklung liegt Jahrzehnte zurück: Von Ex-OB Dietmar Hahlwegs Idee der Fahrradstadt Erlangen aus den 1970er Jahren profitieren wir noch heute. Wäre es da nicht an der Zeit, die Unterbrechungsfreie Zwischennutzung zu kultivieren und einer wunderbaren Idee von Anke Steinert-Neuwirth folgend in den beiden „Philosophentürmen“ der Friedrich-Alexander-Universität zu erproben, wie ein Qualitätswachstum aussehen kann? Denn mit dem absehbaren Umzug der Universität in den ex-Siemens Himbeerpalast wird im Norden der Stadt erstmal viel Fläche frei.
Auf gehts, Kreative, so eine Gelegenheit kommt nicht wieder.